„Schau mal, da ist ein Weg! Wollen wir uns das ansehen?“ Meine Freundin wies auf einen schmalen Pfad, der sich zwischen Baumstämmen und Erdhügeln verlor.
„Sicher, so beginnen Horrorfilme!“
Enthusiastisch suchten wir uns unseren Weg über Baumwurzeln, die sich unter dem Laub des letzten Winters versteckten, und vulkanisches Gestein. Wir hatten uns fest vorgenommen, mindestens drei Hügel zu besuchen auf unserer Wandertour. Den ersten hatten wir bereits hinter uns, komplett mit Siebengebirgsdiplom. Der Tag war freundlich, nicht zu sonnig – perfekt für eine kleine Wanderung.
Der Weg war nicht besonders lang. Nach einer kleinen Kehre wäre ich beinahe über eine morsche Europalette gestolpert, die mitten auf dem Weg lag. Als ich den Blick wieder hob, blieb ich unvermittelt stehen.
Über unseren Köpfen rauschten die Wipfel der Buchen im Juni-Wind. Wir hatten einen kleinen Kessel gefunden mit einem Durchmesser von zehn, vielleicht fünfzehn Metern. Der Boden war überwuchert von kniehohem Unkraut, das zwischen schlanken Baumstämmen um jeden Sonnenstrahl kämpfte. Frühere abenteuerlustige Wanderer hatten schmale Pfade ins Grün getreten, denen wir folgten. Unsere Blicke huschten von einer Seite zur anderen. Soviel zu sehen!
Basaltnadel stachen aus dem Erdreich, das sich rings um uns her auftürmte. Auf einigen hatte sich eine grünliche Schicht gebildet. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um die oberen Kanten zu sehen. Verwachsene Bäumchen gruben ihre Wurzeln verzweifelt in jede noch so kleine Spalte im Fels.
„Wow“, murmelte meine Freundin und drehte sich einmal um die eigene Achse.
In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Das hier wäre der perfekte Ort für… das Szenario explodierte vor meinem inneren Auge.
Stimmen auf dem Wanderweg ließen uns erstarren. Kinder, viele Kinder, und ein kleines Rudel Erwachsener. Zwischen den Ästen hindurch konnten wir sie beobachten. Die Kinder tobten ausgelassen links und rechts des Weges, während die Erwachsenen die Köpfe zusammensteckten. Noch hatte niemand uns entdeckt. Trotzdem, besser nichts dummes machen. Schließlich wollten wir keinesfalls als schlechtes Beispiel gelten. Aber die Wanderer zogen an unserem Versteck vorbei, ohne uns zu bemerken. Seltsam, wie selten die meisten Menschen ihren Blick vom Weg vor ihren Füßen heben.
„Komm, wir schauen uns das ganze von oben an!“ rief ich. In leichtsinnigem Tempo lief ich über die Schulter des Kessels am Eingang, den wir genommen hatten, hinauf – und wäre beinahe ungebremst abgestürzt. Verflixt tief runter ging das! Vorsichtig balancierte ich an der Kante entlang, über Wurzeln und durch Brombeergestöber, bis zur anderen Seite. Meine Freundin war mir nicht gefolgt. Sie wartete am Eingang des Kessels. Höhen lagen ihr nicht. Stattdessen wartete sie geduldig darauf, gegebenenfalls den Rettungswagen zu rufen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis ich unbeschadet und vor Aufregung strahlend wieder vor ihr stand. „Es ist perfekt!“
Wir setzten unseren Weg fort und schmiedeten finstere Pläne…
… und so entstand der erste Funken einer Idee für Helenas viertes Abenteuer! Einen Titel hab ich auch schon. Allerdings, ein bisschen gedulden müsst ihr euch noch, denn den dritten Streich kann ich ja nicht einfach auslassen.
(PS: „Spiegelsee“, das jüngste Abenteuer unserer Bonner Hexe, hat dieses Wochenende bei Amazon seine erste Rezension bekommen – und direkt fünf Sterne! Balsam auf die Künstlerseele… )