
Wenn man überlegt, wie man seinen Geschichten gut Tiefe verleihen könne, stößt man in Ratgebern oder auch im Internet schnell auf einen bestimmten Tipp: Verwende Symbole.
Symbole sind Dinge, die etwas Bestimmtes anderes bedeuten. Schrift besteht aus Symbolen. Das Kreuz im Christentum (oder dieser eine Fisch) sind Symbole. Das Hakenkreuz ist ein Symbol.
Beim Schreiben sollte man vielleicht ein wenig subtiler vorgehen – keine Fische oder Halbmonde auf die Seiten drucken! (Wobei, warum eigentlich nicht … ? Na gut, Buchgestaltung ist ein anderes Thema.) Aber natürlich kann man in seine Geschichten bestimmte Symbole einbauen, die sich dem Leser beim genauen Hinlesen erschließen und der Geschichte zusätzliche Dimensionen verleihen.
Ich erinnere mich noch an meine Schulzeit (damals war alles schwarzweiß!), als wir im Englisch-Unterricht Kurzgeschichten schreiben sollten. Unser Lehrer hatte gewisse literarische Ideen und Ambitionen für uns, wir lasen und besprachen diverse Geschichten und analysierten sie auch, so gut Oberstufenschüler*innen das eben können. Und eine Freundin war sehr überfordert mit der Aufgabe, ihre eigene Geschichte zu schreiben – bis ihr im Unterricht gratuliert wurde dafür, wie schön sie den weißen Schnee als Symbol für Unschuld eingebaut habe. „Wow, ich hatte sogar ein Symbol!“
Jetzt ist es so, dass man als Autor*in eine gewisse Kontrolle über die eigenen Geschichten haben sollte. Man fällt idealerweise nicht zufällig von einem Handwerkstopf in den nächsten. Stattdessen überlegt man sich genau, was man wie sagen will, ob man etwas hier oder lieber erst da andeutet und wie subtil man charakterisieren kann, ohne den Leser komplett im Dunkeln tappen zu lassen.
Allerdings sollte man sich auch nicht der Angst vor der Literaturanalyse komplett ausliefern. Manchmal ist eine blaue Tür nur eine blaue Tür. Manchmal ist die Tür blau, weil das böse Hexen abhalten soll.
Und da kommen wir zu einem weiteren interessanten Punkt: Viele Symbole speisen sich aus der Kultur, in der wir aufgewachsen sind. Ist weiß die Farbe der Unschuld oder des Todes? Ist die Sonne gütig oder vernichtend? Geht von Wasser eine Bedrohung aus oder rettet es Leben? Sind Füchse schlau oder verschlagen? Woran erkennt man Hexen oder Dämonen?
Solcher Unsicherheiten wird man sich oft erst bewusst, wenn man Geschichten liest, die in anderen Kulturen spielen. Ist es wichtig, dass die Figuren in genau dieses Viertel in Tokio gehen? Wenn es heißt, die Hütte hat ein spitzes Dach, soll mir das etwas sagen? Einer guten Geschichte kann man oft auch folgen, ohne jedes Symbol und jede kulturelle Anspielung zu verstehen, aber der Genuss wächst mit dem Verständnis.
Wenn man eine Geschichte dann auch noch in einer phantastischen Welt spielen lässt, wird es noch ein wenig komplizierter. Denn Symbole entstehen aus der Kultur heraus, und wer sich eigene Religionen, Städte, Ständesysteme und Länder ausdenkt, kann dann natürlich nicht plötzlich Kirchtürme als Symbol für drohendes Unheil verwenden oder Weihnachtsbäume in die Häuser stellen. Für eine Seefahrergemeinde haben Möwen eine andere Bedeutung als für den Heiligen Kult der Autowäscher. Und ob eine schwarze Katze Pech bringt …
Und dann gibt es noch die Symbole, die nicht universell gelten, sondern für diese eine Geschichte oder diesen einen Charakter eine Bedeutung haben: Die Melodie des Schlaflieds, das die Großmutter immer gesungen hat, das Lieblingssandwich, das Schmuckstück der bösen Stiefmutter, ein bestimmter Edelstein, dieser unheimliche gelbe Vogel, …
Ihr seht, man kann sich viel den Kopf zerbrechen. Letztendlich sind Symbole aber nur das Sahnehäubchen. In erster Linie sollte man eine gute Geschichte schreiben.