Erinnerst du dich noch an die Überflutung (unter anderem) im Ahrtal? Das war ziemlich krass … und weil ich den ganzen Tag über auf der Arbeit am Rechner sitze, hatte ich ziemlich früh die ersten Hiobsbotschaften über Twitter vor der Nase. Nicht nur das Ahrtal stand unter Wasser, sondern auch Teile des Ruhrgebiets, die Gegend um Euskirchen, … – sagen wir so: Auf drei von vier Seiten war Bonn von Unwetter umgeben, und auf der vierten Seite lag der Rhein. Ich beobachtete alles entsetzt: Freund*innen hatten da gerade plötzlich Wasser im Wohnzimmer! Verloren ihre Autos! Mussten von der Feuerwehr gerettet werden! Im Minutentakt erreichten mich wenig schöne Nachrichten. (Spoiler: Glücklicherweise ging es, bis auf Sachschaden, in meinem Umfeld meist glimpflich aus.)
Sicherheitshalber schickte ich in den Familienchat eine Nachricht, dass bei uns wettertechnisch alles gut sei.
Meine jüngere Schwester antwortete darauf: Klar, wieso auch nicht?
In der Hitze des Augenblicks hatte ich vergessen, dass sie einem weniger computergebundenen Job nachgeht und deswegen NICHT den ganzen Tag über Zugriff aufs Internet hat. Für sie war die Nachricht also völlig kontextfrei.
Später am Abend, als sie dann auch die Nachrichten und Unwetterkarten gesehen hatte, kam die Rückfrage: Seid ihr sicher, dass bei euch alles gut ist?
Zum Glück wohnen wir oben auf dem Berg, und dann nicht im Erdgeschoss. Wenn bei uns das Wasser vor der Tür steht, hat hoffentlich schon jemand mit dem Bau einer Arche angefangen. Aber darüber ist mir einmal mehr klargeworden – überall auf der Welt passieren wahrscheinlich rund um die Uhr Katastrophen, große und kleine, und 99,9 % davon kriegen wir gar nicht mit. Früher war das ja noch viel schlimmer, vor dem Internet – was sage ich? Vor der Erfindung des Telefons konnte es Tage und Wochen dauern, ehe man wichtige Ereignisse mitbekam! (Für alle, die sich wundern: Das habe ich nicht persönlich mitbekommen, soooo alt bin ich auch nicht.)
Heute geht das ja ganz schnell. Leute berichten quasi live, was sich bei ihnen so ereignet. Auch viele etablierte Medien bedienen sich an SoMe-Quellen, wenn sie „am Puls der Zeit“ berichten wollen. Leider geht dabei manchmal Geschwindigkeit zu Lasten von Genauigkeit oder sogar Wahrheit. Denn ich weiß nicht, ob dir das schon einmal aufgefallen ist: Alle können ungefiltert alles ins Internet stellen. Zuletzt gab es beispielsweise bei Twitter in bestimmten Kreisen große Aufregung um den Account einer angeblichen körperlich behinderten Person, die als Ärztin praktizierte und eine ebenfalls körperlich behinderte Tochter hatte. Den Account gab es schon seit vielen Jahren, und die dargestellte Person war gelegentlich interviewt und auch schon ausgezeichnet worden. Und jetzt hieß es plötzlich, dass es diese Person gar nicht gibt. Andere Accounts hatten sich die Mühe gemacht und Ungereimtheiten aufgelistet, Kontakt zu den interviewenden Medien etc. aufgenommen, und niemand hatte die dargestellte Person je gesehen oder auch nur am Telefon gehabt. Alles ging über eine dritte Person, bei der angenommen wurde, dass sie die eigentliche reale Existenz hinter der fiktiven Twitter-Persona sei.
Und von Wahlmanipulationen etc. reden wir gar nicht erst. Das Internet ist zwar kein rechtsfreier Raum, aber wie man das Potenzial nutzt und welchen ethischen Rahmenlinien man sich unterordnen will, darüber sind die Akteure durchaus kontroverser Ansicht.
Auch Privatleute nutzen das Internet nicht nur mit hehren Absichten. Ich kenne gleich mehrere Leute, die im Lauf der Jahre auf die sogenannten „Romance Scammer“ hereingefallen sind. Und vom Nigerianischen Prinzen hast du bestimmt auch schon gehört – heute ist das oft eine tiefreligiöse Witwe mit Kehlkopfkrebs, man will das Publikum nicht langweilen!
Sei es durch Wortwahl, Auslassen, Weglassen, prominente Platzierung – sogar seriöse Medienportale betreiben durchaus Meinungsmache, verfolgen mitunter versteckte Ziele oder versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen. Deswegen ist es wichtig, dass Menschen von klein auf lernen, kritisch mit Medien umzugehen. Nicht nur mit Nachrichten etc., sondern auch mit dem, was ihnen in den Sozialen Medien begegnet (hallo, Photoshop! Influencerwelle incoming!) und damit, was sie selbst über sich preisgeben wollen.
Natürlich hat all das auch spannende Implikationen für schreibende Menschen wie mich, aber darüber erzähle ich irgendwann ein anderes Mal mehr.
Hast du einen Lieblings-Internet-Fake? Oder bist du selbst mal auf etwas hereingefallen, was sich später als gar nicht echt herausgestellt hat?