SAMMELBAND: Magie hinter den sieben Bergen: Anderswelt

Endlich sind sie vereint! Ob nur auf dem Cover oder auch im Happy End?

MhdsBA Mockup

MAGIC CONSULTANT AND SOLUTIONS.
Helena Weide hat die Nase voll – von ihrer Arbeit als Magieberaterin, von der ständigen Lebensgefahr und von ihrer Mutter, die sich andauernd in ihr Leben einmischen will.
Sekretärin Maria hat geheiratet und ist versorgt. Der Familienfluch, der auf ihrem Assistenten Falk ruht, macht vor nichts Halt. Höchste Zeit, sich aus dem gefährlichen Geschäft mit der Magie zurückzuziehen. Aber was soll sie stattdessen machen?
Der Urlaub, in dem Helena sich neu orientieren will, wird zur Katastrophe.
Das Projekt, das ihren Übergang in einen geregelten Job absichern soll, erweist sich als hochriskant.
Falk trifft eine fatale Entscheidung und verschwindet von der Bildfläche.
Aber Helena wäre keine Hexe, wenn sie ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen würde.

Leserstimmen:

Ich bin froh sie gekauft zu haben.

Die Autorin beschreibt die Protagonisten so gut, dass man sich gut in sie hineinversetzen konnte. Ihre Handlungsorte beschreibt sie detailliert, so dass man selbst gerne dort wäre. Insbesondere haben es mir die verschiedenen Wesen angetan.

„Magie hinter den sieben Bergen: Anderswelt“ enthält die Romane „Lichterspuk“, „Feengestöber“ und „Grimmwald“. Der Sammelband ist beispielsweise hier oder hier erhältlich.

CN Alkoholismus, Demenz, Blut, Körperflüssigkeiten, Entführung, Gewalt, Feuer, Kindesmisshandlung, Körperteile, sexualisierte Gewalt, Gefangenschaft

Leseprobe:

Statt langwieriger Erklärungen zu Jahreszeiten, Festen und Magie habe ich an dieser Stelle etwas Besonderes für euch – die fehlende Szene zwischen »Feengestöber« und »Grimmwald«, aus Falks Sicht. Viel Vergnügen!

(…) Ich stöhnte und rieb mir den unteren Rücken. Fuck, warum hatte Wilma ausgerechnet dieses Monster von Tisch haben müssen? »Ich hoffe, er steht jetzt so, wie du wolltest.«

Sie sah sich einmal um, ließ das Zimmer auf sich wirken. »Ja, das müsste so passen. Vielen Dank, ihr Jungs seid die Besten!«

War ich nicht endlich aus dem Alter heraus, in dem ich mich als »Junge« bezeichnen lassen musste? Ich drückte meine Mutter zum Abschied und ging mit Karl zusammen den Weg vor dem Haus entlang zwischen von Bienen umschwärmten Heidekissen hindurch zu Helenas hässlichem kleinen Corsa. In dieser Umgebung fiel der Wagen nicht einmal auf. Wenigstens fuhr er. Ich angelte die Schlüssel aus der Hosentasche und verabschiedete mich per Handschlag von meinem Schwager. »Grüß die anderen von mir.«

»Mach ich – oh, und sag Helena mal, sie kann mich jederzeit anrufen, wenn sie noch Fragen zu den Geschichten hat.« Karl strahlte über sein rosiges Gesicht, winkte noch einmal und fuhr mit dem Familienvolvo davon. Meine Schwester hatte sich einen richtigen Spießer geangelt, soviel war sicher. Hauptsache, sie waren glücklich.

Der kleine Motor tat sein Bestes, mich heile zurück ins Hotel zu bringen. Der Mist mit dem Tisch hatte länger gedauert, als ich erwartet hatte. Diese Gegend verursachte mir immer schlechte Laune. Spießerhölle. Ich hatte nie gedachte, dass ich diese Straßen noch einmal sehen würde.

Zum Glück ging es bergab, und das Auto tat, was es sollte. Die Hauptstraße war hoffnungslos überfüllt, also kroch ich so langsam Richtung Norden, dass ich sogar zu Fuß schneller gewesen wäre. Geistesabwesend schaltete ich mich durch die Radiosender. Wenigstens hatte die Verzögerung etwas Gutes – mit ein wenig Glück konnten wir gleich direkt einpacken und uns auf den Heimweg machen. Mir war scheißegal, was aus diesem lächerlichen Fernsehformat wurde. Hauptsache, Aradia hörte auf, sich querzustellen. Helena war immer ganz verdreht, wenn sie mit ihrer Mutter zu tun hatte. Mein armes kleines Hexlein. Ich verzog den Mund. Besser, wenn sie diesen speziellen Spitznamen nie hörte. Die Kolonne vor mir setzte sich wieder in Bewegung, und ich trat aufs Gas.

Als ich im Hotel ankam, merkte ich allerdings direkt, dass etwas nicht stimmte. Aradias Blick fehlte die Verachtung, die sie normalerweise für mich parat hatte. Vorsichtig sah ich mich um, ob irgendwo die Kameraleute lauerten, und betrat dann das Foyer. Keine Drehaufnahmen. Für den Augenblick war ich sicher.

Mit einem bemüht freundlichen Lächeln trat ich zu Aradia und Grete. »Haben wir einen Plan?«

Beide drehten sich zu mir um. Aradia schüttelte den Kopf. »Es gibt eine Verzögerung.«

Nicht schon wieder. »Haben die Turteltauben sich ein Zimmer genommen?«

Ihr Blick hätte mich fast erdolcht. Auch wenn ich es mir nicht anmerken ließ – diese Frau war mir unheimlich. Zum Glück antwortete Grete, ehe die Situation eskalieren konnte. »Helena und Aurin sind verschwunden.«

»Sind wohl nach draußen gegangen«, vermutete ich. Dieses Affentheater musste denen ja aufs Gemüt schlagen.

Aber Gretes Gesicht bleibt ernst. »Die Feen sagen, es hat eine Störung der lokalen Energien gegeben. Wir vermuten, dass …« Sie räusperte sich. »Wir vermuten, dass jemand die beiden entführt hat.«

Scheiße, was? Ich spürte ein drückendes Gefühl hinter den Rippen. »Das ist nicht möglich.« Hier war alles voll von Fernsehleuten und Feenkriegern, gegen die ich nicht im Armdrücken hätte antreten wollen. »So verrückt ist doch keiner. Was sieht man auf den Überwachungskameras vom Hotel?«

Tatsächlich, Aradia war etwas blasser als sonst. Sie wirkte abgelenkt. Wenn ich genau hinschaute, erkannte ich … Besorgnis. So hatte ich sie nicht einmal im August gesehen, als Helena von einem Spuk verflucht worden war. Damals hatte sie sich in ihrem Element gefühlt – Hexen gemeinsam gegen das Böse. Mir dämmerte, dass es diesmal etwas Ernstes sein musste. Sie sagte: »Man sieht Helena und Aurin ins Schwimmbad hinuntergehen. Dort gibt es keine Kameras. Sie sind nicht rausgekommen, aber im Poolbereich sind sie auch nicht mehr.« Deutlich hörbar schwang mit: Natürlich haben wir das alles schon überprüft, du Idiot.

Das musste ein Fehler sein. Helena war kein hilfloses Reh, das man einfach so entführen konnte. Dafür hatte ich gesorgt. Wahrscheinlich hatte sie einen Weg gefunden, sich unbemerkt nach draußen zu schleichen. Ich spürte Erleichterung. Das musste die Lösung sein.

Mein Handy vibrierte und ließ den Schlüsselbund in meiner Hosentasche klimpern. Ich versenkte meine Hand in der Tasche und zog das Gerät hervor. Die Nummer auf dem Display war mir nicht bekannt. Seltsam – außer dem Chef im Fitnessstudio, meiner Familie und Helena hatte niemand diese Nummer. Hatte ich wenigstens gedacht. »Hallo?«

»Fleischklops, ich habe gehört, deine Schnalle ist verschwunden?«

Ich drehte den Hexen den Rücken zu und trat ein paar Schritte beiseite, um etwas Privatsphäre zu haben. Die Stimme kannte ich, auch wenn die Verbindung sie verzerrte. »Echsengesicht, du Sack. Was weißt du?« Meine Finger wurden kalt. Wenn die Gestaltwandler beteiligt waren, konnte nichts Gutes dabei herumkommen.

»Der Boss hat eine Abmachung mit ein paar Leuten, die neu in der Gegend sind. Hat ihnen geholfen, ein Paket zu verschicken.«

»Und warum erzählst du mir das?« Der kleine Kriecher war zu feige, sich gegen seine Leute zu stellen.

»Nun, der Boss steht auf dich.« Echsengesicht stieß ein meckerndes Kichern aus. »Muss sich direkt in dich verliebt haben. Er fragt, was ihr tun würdet, um eure Leute wiederzukriegen.«

Das Gerät knirschte zwischen meinen Fingern. »Was will er?«

»Du, der Feenmacker und diese alte Schabracke mit den roten Haaren kommt zum Viktoriabad. Jemand holt euch sofort ab.« Dann knackte es, und das Gespräch war vorüber.

Ich hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, als ich mich zu Aradia und Grete umdrehte. »Wo ist Tigo? Das war einer von den Gestaltwandlern. Er sagt, sie wissen, wo die beiden sind.«

»Das konnte ja nicht gutgehen, wenn Helena sich mit solchen Leuten einlässt«, schimpfte Aradia. Am liebsten hätte ich ihr eine verpasst. Arrogante Ziege. Wer hatte uns denn in diesen Mist mit den Feen hineingezogen? Aber sicher, Helenas Umgang war an dem ganzen Mist schuld. Ehe ich etwas Dummes sagen konnte, drehte ich um und stapfte in die Richtung davon, in der die Konferenzräume lagen. Irgendwo da hinten musste das Kamerateam gerade seinen Schwanengesang planen.

Das verliebte Leuchten in den Gesichtern von Tigo und Anisa war nicht verschwunden, hatte jedoch eine besorgte Komponente bekommen. Sobald sie mich sahen, liefen sie in meine Richtung. Ihre Hände waren fest ineinander verkrampft. »Hat Helena sich gemeldet?«

Ich schüttelte den Kopf. »Gerade hat jemand angerufen, der behauptet, mehr zu wissen. Hattet ihr schon mit den Gestaltwandlern zu tun?«

Anisas Augen wurden groß. »Ich dachte, die hätten sich zurückgezogen?«

Tigo drückte sie an sich. Sein Blick schweifte in die Ferne. »Wir hatten einen Waffenstillstand, was die Geschäfte angeht. Ich wollte dich nicht weiter beunruhigen.«

Ihr Gesicht drückte deutlich aus, was sie von dieser Enthüllung hielt. Anstatt zu streiten, wandte sie sich an mich: »Was haben sie gesagt?«

»Wir sollen ihren Anführer in der Stadt treffen. Angeblich wissen sie, wo die beiden sind.«

Ihre Schultern strafften sich. »Dann lasst uns fahren!« Alles Zögern und alle Angst schienen verschwunden. Es war eine blöde Idee, zwischen eine Mutter und ihr Kind zu kommen.

Für einen Moment dachte ich an Aradias Gesicht, als ich ihm von der Sache mit der Witten Jüffer erzählt hatte. Dann streckte ich eine Hand aus, um Anisa zu bremsen. »Sie haben explizit nach Tigo, Aradia und mir gefragt.«

Anisas volle Lippen wurden zu einem schmalen, weißen Strich. »Und was soll ich solange tun?« Ihre Stimme bekam einen schrillen Unterton. »Glauben die, ich warte hier untätig, dass jemand meinen Sohn zurückbringt?«

Ein erstes Flattern von Magie ging durch den Raum. Seit ich bei Helena lebte, hatte ich das so oft erlebt, dass ich es inzwischen sogar bei anderen Menschen – Wesen erkannte. Manchmal, wenn sie träumte … ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Für Nostalgie war später Zeit.

Tigo drehte Anisa zu sich um und sah ihr tief in die Augen. »Natürlich sollst du nicht nur warten. Ich glaube nicht, dass die Gestaltwandler Aurin haben. Sie hätten es niemals unbemerkt ins Hotel geschafft. Ich möchte, dass du hinunter zum Pool gehst und alles gründlich untersuchst. Irgendwo muss es eine Spur geben.« Er schnipste, und seine beiden Leibwächter traten vor. »Begleitet Anisa in den Keller. Beschützt sie mit eurem Leben. Ich werde in Kürze zurück sein.«

Die Bodyguards wechselten einen Blick, in dem Zweifel mitschwangen. Sie wollten ihren Boss wohl nicht allein lassen. Hätte mir auch nicht gepasst. Ich drehte mich um und verließ den Raum. Wir hatten nicht viel Zeit.

Hinter uns erhob sich Geschrei, als wir Richtung Foyer liefen, aber ich achtete nicht darauf. Dieser mickrige Filmmacker würde noch einen Schlaganfall kriegen, wenn er sich weiter so aufregte.

Wir trafen Aradia in der Nähe der Tür. Sie wies nach draußen. »Das ist der gleiche Wagen wie neulich nachts, habe ich Recht?«

Tatsächlich, Echsengesichts BMW stand in der Einfahrt, und der Gestaltwandler lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Motorhaube. Er sah demonstrativ auf seine Uhr. Mich überkam ein ungutes Gefühl, und das hatte nichts mit Magie zu tun. Ich drehte mich zu Tigo um. »Du hast doch bestimmt eine Idee, wer hinter der ganzen Scheiße steckt.«

Seine Augenbrauen kletterten in die Höhe.

»Verarsch mich nicht.« Falls nötig, könnte ich ihm wehtun. Fee oder nicht, das war egal, wenn man die richtigen Punkte traf.

Er sah sich um, ob Anisa uns gefolgt war. Aber sie stand immer noch in der Nähe der Konferenzräume und starrte den Regisseur mit finsterem Blick an. Der redete sich gerade um Kopf und Kragen. Dann sagte Tigo nur zwei Worte. »Der Kristallclan.«

Ich hatte keine Ahnung, wer das sein sollte. »Sind sie in Gefahr?«

»Aurin wahrscheinlich nicht. Die Menschen hingegen …«

Ich brauchte einen Moment, ehe ich begriff. Das Kamerateam war natürlich auch verschwunden. Mist. »Werden sie ihnen etwas tun?«

»Kann ich nicht sagen. Menschen sind für uns nicht besonders wichtig, wenn es um Geschäfte geht. Möglich wäre es – Kollateralschäden eben.«

Arrogantes Arschloch. Ich drehte mich zu Aradia um. »Die Verbindung, die zwischen Helena und mir bestand, gilt die noch?«

Sie nickte. »Ich hielt es nicht für sinnvoll, sie voreilig wieder aufzulösen.«

Endlich zahlte sich aus, dass Aradia immer glaubte, zu wissen, was das Beste für alle anderen sei. Ich konnte mir denken, was Helena zu dieser Enthüllung sagen würde. Im Moment jedoch könnte dieser Eingriff in unsere Selbstbestimmung sich als nützlich erweisen. Ich griff nach Aradias Arm und trat einen Schritt beiseite, damit Tigo uns nicht unbedingt hörte. »Wenn es brenzlig wird, geht Helenas Sicherheit vor.«

Aradia sah mich mit gerunzelter Stirn an. Prüfte sie, ob ich es ernst meinte? Dann nickte sie.

Gut. Ein Gefühl der Erleichterung senkte sich auf mich. Mit dem Familienfluch war mein Leben sowieso nicht viel wert. Hauptsache, für Helena war gesorgt. Ich zog den Schlüsselbund aus der Hosentasche. »Steigt schonmal ein, ich komme sofort.«

Der Motor des Corsas machte noch diese knackenden Abkühlgeräusche, als ich mich dem Wagen näherte. Ich drückte auf den Knopf für die Zentralverriegelung, öffnete die Tür und warf die Schlüssel durch den Türspalt. Dann joggte ich zum Eingang zurück. Dort stand ein Page in Uniform. »Hey, bist du für den Parkplatz zuständig?«

Der Junge nickte. Seine Pickel begannen vor Nervosität direkt zu glühen. »Pass auf den grünen Corsa da hinten auf – ich habe der Besitzerin die Schlüssel auf den Sitz gelegt, sie sollte später vorbeikommen.« Ich drückte ihm einen Fünfziger in die Hand.

»Woran erkenne ich die Besitzerin?«

»Hübsch, braune Haare – und sie wird ziemlich angepisst sein.«

Er schluckte und nickte. »Und wie heißt sie?«

»Frau Weide.«

Das sorgte für ein Leuchten in seinen Augen. »Etwa die Hexe?«

Ich nickte. »Genau die.« Helena war wohl wirklich eine kleine Lokalberühmtheit. Mein Mund wurde trocken. »Vielen Dank – und wenn sie fragt, sag ihr, ich hatte eine wichtige Verabredung.« Das würde vielleicht helfen, damit sich ihr Zorn nicht über diesem armen Teenager entlud. Er konnte schließlich nichts für das, was als Nächstes passieren würde.

Ich hatte erwartet, dass Echsengesicht mich mit einem Grinsen und einem blöden Spruch empfangen würde, aber beides blieb aus. Stattdessen warf er mir einen merkwürdigen Blick zu, der Ungeduld oder Unbehagen ausdrücken mochte. »Steig ein, der Boss wartet nicht gerne.« Er wies auf die Beifahrertür.

Die Fahrt in die Innenstadt schien ewig zu dauern. Unter anderen Umständen hätte ich die Fahrt in dieser Luxuslimousine mehr genossen. Diesmal jedoch saß ein fester Knoten in meinen Eingeweiden und lenkte mich ab. Ich war zu nervös, um die Verbindung zu Helena in meinem Inneren zu spüren, die Aradia mit Magie hergestellt hatte. Ging es ihr gut? War sie noch am Leben? Ich konnte nur hoffen, dass ich spüren würde, wenn etwas Schlimmes passierte. Das würde bedeuten, dass wir noch Zeit hatten.

Die Menschen vor dem Café Blau machten zügig Platz, als wir uns näherten. Sie kannten den Wagen wohl. Das Brummen des Motors wurde vom Torbogen zurückgeworfen, als wir in den Innenhof rollten. Aus allen möglichen Ritzen wucherte Unkraut. Ich stieg aus und ließ die Schultern kreisen. Es knackte. Die Stadt hatte diese Ecke wohl vorläufig aufgegeben.

Mehrere Gestaltwandler erwarteten uns bereits. Wir waren hoffnungslos in der Unterzahl. Um Tigo machte ich mir keine Sorgen – der Schönling sah aus, als könne er sich durchaus selbst verteidigen. Wie es mit Aradia aussah, wusste ich hingegen nicht. Wenn jetzt gleich alles schiefginge, würde ich sie retten müssen. Das würde sie mir nie verzeihen. Egal, lebendig konnte sie mich später immer noch anbrüllen.

Ich erkannte die Krötenfrau und den Typen, der wie ein Aasgeier aussah. Sie standen neben der Tür und grinsten. Ein Kerl mit einem riesigen Kreuz und dürren Beinchen lehnte an einem Geländer, hinter dem Treppenstufen hinunter zu einem Kellereingang führten. Er sah lächerlich und gefährlich zugleich aus. Erst nach mehreren Sekunden bemerkte ich die Ähnlichkeit zu den Hyänen, die ich letzte Woche in einer Reisedoku gesehen hatte. Ich sah genauer hin. Sein Kiefer machte den Eindruck, als könne er sich damit durch Kanthölzer beißen. Scheiße.

Scheiße.

Scheiße.

Gemeinsam setzten wir uns in Bewegung in die einzig logische Richtung – auf die Tür zu, die jetzt von der Krötenfrau einladend geöffnet wurde. Echsengesicht blieb dicht hinter uns. Seine Anwesenheit ließ die Stelle zwischen meinen Schulterblättern prickeln. Gleichgültig, was Helena von ihm hielt – ich hatte diesem Kerl noch nie getraut, und ich würde jetzt nicht damit anfangen.

Es roch genauso ätzend wie bei unserem letzten Besuch in dem verlassenen Hallenbad. Da es draußen bewölkt war, fiel nur diffuses Licht durch das Buntglas in der gegenüberliegenden Wand. Es erhellte den Taubenmann, der in seinem abgewetzten Mantel in einem eifrig auf dem Boden herumpickenden Taubenschwarm stand und mit großzügigen Bewegungen Futter unter sein Volk brachte. Der alte Sacke hatte sie doch nicht mehr alle. Und dem sollten wir vertrauen, dass er uns half, Helena und Aurin zurückzukriegen?

Tigo trat einen Schritt vor und räusperte sich. Er sah aus, als unterdrücke er den Impuls, auf den Boden zu spucken. »Wer sind Sie und was haben Sie mit meinem Sohn gemacht?«

Wenigstens kam er gleich zur Sache. Keine Zeit für umständliche Feendiplomatie.

Leider interessierte den Taubenmann nicht, was Tigo zu sagen hatte. Er hob den Kopf, entblößte spitze Zähne und kam auf uns zu. Die Tauben stoben in die Luft, und einen Moment lang war ich desorientiert. Um mich herum waren nur Staub und Federn. Ich ging in Verteidigungsstellung.

So schnell, wie sie aufgeflogen waren, hatten die Vögel sich auf den Balken unter der Decke versammelt. Kleine Federn segelten durch die Luft. Der Staub machte das Atmen schwer. Aradia hustete und hielt sich ihren Ärmel vors Gesicht.

Der Taubenmann ignorierte die anderen und kam direkt auf mich zu. »Ich hätte nie gedacht, dass einer von euch es so lange macht.« Er umrundete mich mit neugierigem Blick.

Ich widerstand der Versuchung, mich mit ihm zu drehen. Was hatte dieses mickrige Kerlchen nur mit den Gestaltwandlern zu tun? Überrascht registrierte ich, dass er beinahe so groß war wie ich. Er wirkte immer viel kleiner. Sein Katzenschwanz war graugestreift und schlängelte sich träge durch die Luft. Ich bemerkte, dass das Fell sich sträubte. So reagierte Strega, wenn sie aufgeregt war – oder angriffslustig.

Der Taubenmann hatte seine Umrundung beendet und stand wieder dicht vor mir. Als er sprach, waren seine Worte jedoch nicht an mich gerichtet.

»Der Kristallclan hat das Balg und die Hexe in eine interdimensionale Tasche verschleppt. Noch befindet der Durchgang sich im Schwimmbad unter dem Hotel.«

»Woher wissen Sie davon?«, fragte Tigo.

Das Grinsen des Taubenmannes wurde breiter. »Ohne meine Zustimmung läuft hier nichts, das sollten Sie doch wissen.«

»Was sind Sie, der König von Bonn?«, spottete Tigo.

Die Gestaltwandler hinter uns wurden unruhig.

Ich verlagerte mein Gewicht ein wenig, um mich schnell zwischen Aradia und die Bedrohung werfen zu können. Auch wenn Helena mit ihrer Mutter nicht gut auskam, würde sie mir nie verzeihen, wenn ihr etwas passierte. Wenn wir es in den Gang schafften, könnten wir sie in die Mitte nehmen und sicher in den Innenhof bringen. Von dort – das würden wir dann sehen. Es war so eine dämliche Idee gewesen, herzukommen, und die Zeit lief uns davon.

Der Taubenmann legte den Kopf schief. »Ja, das könnte man so sagen. Wissen Sie, ich bin schon wesentlich länger hier als Ihr Clan. Oder seine Familie.« Dabei wies er auf mich. Seine knochigen Finger endeten in gelben, krallenähnlichen Nägeln. »Wenn Sie ihn mir überlassen, sage ich Ihnen, wie Sie die beiden anderen retten können.«

»Das kommt nicht in Frage.« Aradias Stimme füllte den Raum ohne Mühe.

Überrascht drehten wir uns zu ihr um.

Sie straffte die Schultern. »Wir werden Ihnen nicht eine Person ausliefern, um andere Personen zu retten.«

»Nicht so schnell«, fiel Tigo ihr ins Wort.

Klar, dem war egal, was mit mir passierte. Ich holte tief Luft und schmeckte Staub. »Ich will hören, was der alte Mann anzubieten hat.« Er hatte ja Recht – es war ein Wunder, dass jemand wie ich es so weit geschafft hatte. Ich hatte nie damit gerechnet, auch nur zwanzig zu werden, und das war schon etliche Jahre her. Der Familienfluch hatte sich vornehm gebremst, aber ewig würde ich ihn nicht im Schach halten können. Heute war ein guter Tag.

Aradia legte mir eine Hand auf den Arm und drehte mich zu sich herum. »Bist du sicher?« Sie wusste, dass ich mein Leben für ihre Tochter geben würde.

Ich nickte. »Keine Ahnung, was die mit mir wollen, aber wenn es hilft …«

Sie musterte mich einmal gründlich von oben und nickte kaum merklich. Offenbar hatte ich endlich ihr Wohlwollen gewonnen. Ein würdiger Partner für ihre Hexentochter. Zu blöd, dass wir das nicht mehr feiern konnten.

Mehrere Gestaltwandler kamen auf mich zu. Ich trat von den anderen beiden weg, um mehr Bewegungsspielraum zu haben.

Der Taubenmann streckte seine Hand aus und reichte Aradia ein zerknittertes Stück Papier. »Hier finden Sie die Anweisungen, wie Sie die Öffnung aktivieren können. Aber Sie sollten sich beeilen, lange wird diese interdimensionale Tasche nicht mehr stabil bleiben. Sie haben sich mehr Zeit gelassen, als ich erwartet hätte. Mein Assistent wird Sie zum Hotel zurückfahren.«

Tigo zögerte, nickte mir zu und verschwand durch die Tür. Er zeigte nicht den Hauch eines schlechten Gewissens.

Aradia zögerte, aber nur kurz.

Ich nickte. »Grüß Helena von mir.« Dann war ich mit den Gestaltwandlern allein und wartete darauf, was als Nächstes passieren würde. ( …)