Die Beschwerde ist so alt wie die Welt, nehme ich an. Vor 2.500 Jahren bereits beschwerten sich Leute über die jungen Leute, die glauben, dass sie alles wissen, und sich so respektlos benehmen. Und eine Bekannte erzählte das neulich auch. „Im Bus machen die auch nie Platz für alte Leute, und überall spucken die hin!“
Das mit dem Spucken ist auch wirklich nicht so knorke.
Aber wenn ich mich mal in Ruhe umgucke, wisst ihr, welcher Teil der Gesellschaft wirklich unangenehm ist? Die Mittelalten. Die aus meiner Altersgruppe.
Junge Leute in den Bussen, mit denen ich fahre, bieten ihren Platz an. Die halten die Tür auf und tragen Taschen für die Nachbar*innen. Möglicherweise sehe ich auch nur immer die wirklich Wohlerzogenen, wer weiß? Zu Silvester beispielsweise war der Mann mit Feuerwerk etwas spät dran. (Ich mag kein Feuerwerk, er liebt es, also sag ich nicht viel.) Die meisten Leute hatten schon gelärmt, besonders beliebt waren diese garstigen Batterien – und davon stand noch ein halbes Dutzend brennend mitten auf der Straße. Keine Ahnung, wer die abgefeuert hat. Auf jeden Fall war ich kurz hochgelaufen, einen Eimer Wasser zu holen, da kamen dem Mann mehrere dunkel gekleidete junge Leute entgegen. Wünschten ihm ein frohes neues Jahr, halfen ihm beim Löschen und räumten auch die Glassplitter mehrerer Sektflaschen beiseite.
„Die waren voll nett und zivilisiert und so!“ Das ist allerdings auch kein Wunder. Die sind noch frisch erzogen und voller Ideale und so.
Wir hingegen – also, ich bin über vierzig – also wenn du ein paar Jahre durch die Gegend gegangen bist, sind die Chancen gut, dass du jede Woche (metaphorisch gesprochen) einmal vom Leben auf die Fresse bekommen hast. Irgendwas hat nicht geklappt, wie es sollte. Irgendwer war grundlos scheiße zu dir. Das Finanzamt schreibt einen bösen Brief und auf dem Supermarktparkplatz hat dein Auto plötzlich eine neue Delle, aber keine Nachricht vom Dellenverursacher.
So etwas nutzt einen ab. Wie emotionales Schmirgelpapier. Und irgendwann steht man dann da und denkt sich: „Näää, wenn alle kacke zu mir sind, dann bin ich auch kacke zu allen anderen. Da sehter mal, wasse davon habt!“ Sind schließlich noch 25 Jahre bis zur Rente, die Karriere liegt flach auf dem Bauch und röchelt und entgegen aller Pläne aus jungen Jahren sind wir weder reich noch berühmt.
Ehrlich, ich versteh das total. Es braucht konstante harte Anstrengung, angesichts des Alltags – des Lebens, quasi – weich und mitfühlend und optimistisch zu bleiben. Sich immer wieder anzustrengen und zu überlegen, wie man das Leben für alle etwas besser machen kann. Wie sich die anderen Personen im Raum gerade fühlen. Ob einem echt ein Zacken aus der Krone bricht, wenn man die leere Klopapierrolle im Büro wechselt. (Was die anderen natürlich nie tun, leben die alle auf Bäumen und halten den Hintern zum Trocknen in die Höhe?)
Während wir an Silvester noch feuerwerkten, kamen also aus dem Nachbarhaus zwei Leute etwa in unserem Alter und fingen an zu möpern. Kein „Frohes Neues!“ zur Begrüßung, kein „Entschuldigen Sie bitte“, sondern: „Hörnsema, wie lang soll das noch gehen? Wir wollen schließlich schlafen!“ Und ja, ich versteh das, aber a) es ist einmal im Jahr und b) wir waren definitiv noch im gesetzlich vorgegebenen Rahmen. Wir haben ihnen freundlich erklärt, dass wir in wenigen Minuten durch sind.
„Ja, und nehmense gefälligst Ihren Dreck wieder mit!“
– „Natürlich nehmen wir das wieder mit, das machen wir jedes Jahr.“
(Ich bin ein fucking ray of sunshine. Der Mann weiß das und lässt mich in solchen Situationen machen.)
Nach wenigen Minuten haben die Leute sich dann auch beruhigt und sind wieder abgezogen, wir waren kurz darauf fertig, haben unseren Kram eingepackt und sind reingegangen. Und ich will gar nicht darüber meckern, dass die sich gestört gefühlt haben. Mir geht Feuerwerk auch auf den Sack, aber einmal im Jahr darf man halt und der Mann freut sich wie ein kleines Kind. Der Ton andererseits war nicht okay. Was für ein Leben haben die, wenn das offenbar der Standardton für eine Begegnung mit fremden Leuten ist? Ah well.
Also, meine Theorie: Die wirklich respektlosen, gesellschaftsstörenden Leute sind die mit den paar Jahren auf dem Buckel und noch mehr Jahren bis Feierabend. Die von ihrem Alltag deformierten, demotivierten Frustrierten. Die sich nicht jeden Morgen wieder aufraffen und die Macht, die der Kaffee ihnen verleiht, fürs Gute einsetzen können. Die einen Schuldigen für ihre Misere suchen.
Die jungen Leute, die ich kenne, die sind dufte. Aber keine Angst, das wächst sich aus.
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