„Jeder hat nur 24 Stunden, du musst Prioritäten setzen!“

Wisst ihr, wie sehr ich diese Aussage hasse?

Gerade heute bin ich da wieder irgendwo drüber gestolpert, als sich in SoMe eine Person beklagte, dass sie mit Job/Haushalt/Sport/Sozialleben überfordert sei. Und in den Kommentaren tummelten sich Dutzende(!) Leute, die ungefragt und ohne Kenntnis der Situation erklärten, die Person müsse ja nur ihr Leben besser strukturieren und dann „einfach machen“.

Joah, Frittenhorst, so einfach ist das nicht.

Völlig überraschend haben Leute nämlich unterschiedliche Mengen an Energie und Resilienz, um mit den Anforderungen des Alltags umzugehen. Manche könnten an einem Donnerstag Abend nach Vollzeitjob und Ehrenamt noch clubben gehen. Andere Leute fragen sich Dienstag Morgen schon, wie sie das ganze Elend noch vier weitere Tage durchhalten sollen.

Wahrscheinlich hab ich das schon einmal erwähnt: Ich leide an Schilddrüsenunterfunktion. Die ist nicht besonders schlimm und gut eingestellt – inzwischen. Als ich nämlich noch als Schülerin mit den entsprechenden Symptomen zu unserem Hausarzt gingen, hatten wir leider einen eher schlechten. „Ja, die Werte sind zu hoch, aber ich möchte ihr noch keine Tabletten verschreiben. Da gewöhnt sich der Körper nur dran und dann muss sie die immer nehmen.“

Angeblich hatte der Medizin studiert. Aber weißte was, du Rezeptblockverweigerer? Schilddrüsenunterfunktion geht nicht einfach weg. Der Körper lernt nicht, das zu kompensieren.

Damals wusste ich das noch nicht, und auch meine Eltern vertrauten dem Fachmann. Ich ging also in die weite Welt hinaus, begann ein Studium und wunderte mich immer, dass alles, was meine Freund*innen machten, so mühelos aussah. Unser Studium bestand aus im Schnitt 36 Kursstunden mit Anwesenheitspflicht pro Semester, plus Vor -und Nachbereitung. Nebenbei sollte man eigentlich auch noch arbeiten und ein Leben haben, aber das war für mich nicht drin. Zum Glück hatte ich Bafög und ein günstiges Studierendenwohnheimszimmer!

Ich war felsenfest davon überzeugt, eigentlich sei ich ja nur faul. Alle anderen schafften das schließlich auch! Ich war erst Anfang zwanzig, da sollte man nicht so müde sein! Also entwickelte ich eine unglaubliche Selbstdisziplin, um alles, was gemacht werden musste, auch wirklich zu schaffen – keine Abgabefristen zu versäumen, keine Klausuren zu verhauen, alle Vorträge ordentlich vorzubereiten. Ich war Expertin darin, mich selbst durch die Woche zu schleifen, und brauchte das ganze Wochenende, um mich zu erholen.

Gegen Ende des Studiums geriet ich dann an einen Arzt, der mir ohne weitere Bedenken Schilddrüsenhormone verschrieb. Und innerhalb weniger Wochen entwickelte ich mich zu Wonderwoman – oder es fühlte sich wenigstens so an. Plötzlich hatte ich soviel Energie wie ein ganz normaler gesunder Mensch!

Die Selbstdisziplin ist geblieben. Das ist der Grund, warum ich heute vergleichsweise viel im Alltag schaffe: Bürojob, Schreiben, Sport, ein wenig Haushalt (nicht besonders gut, reine Zeitverschwendung) und eine Art Sozialleben. Außerdem bringe ich mich ehrenamtlich ein, wenn mich ein Anliegen interessiert, und bin in mehreren Verbänden aktiv. Nur das mit dem Clubben hab ich mir geschenkt, zu viele Leute auf einen Haufen. Ich steh morgens auf und mache dann Dinge, bis ich Abends umfalle. Gewohnheitssache.

Und es wäre jetzt leicht, mir mit 15 oder so Jahren Abstand einzureden, es sei ja gar nicht so schlimm gewesen und ich hätte gar nicht so viel kriechen und kämpfen müssen. Glücklicherweise hatte ich im Winter einen Reminder. Ein Nahrungsergänzungsmittel, dass ich auf Empfehlung einer Fachperson nehmen sollte, machte nämlich meine künstlichen Schilddrüsenhormone wirkungslos. Und ich natürlich wieder – denk mir nichts dabei. Du bist müde und deine Haare fallen aus? Ist ja auch Winter. Und du bist nicht mehr die Jüngste. Bis ich dann doch mal ein wenig recherchierte. Nahrungsergänzungsmittel auf den Abend verlegt, und schon ging es mir wieder wonderwomanös.

Hätte jemand meinem 20jährigen Ich gesagt: „Du musst nur organisieren und priorisieren“, hätte ich mir gewünscht, die Energie zu haben, diese Person zu erwürgen. Den meisten Leuten mit chronischen Einschränkungen oder einfach nur weniger Resilienz geht es in diesen Situationen wahrscheinlich ähnlich.

Darum an dieser Stelle stellvertretend für alle und mein früheres Ich: Fick dich, Frittenhorst. Du hast ja keine Ahnung.

Los, gebt es mir!